AUSSTELLUNG


Ausstellung vom 23. April bis 11. Juni 2016
Eröffnung der Ausstellung am Freitag, 22.4. um 19 Uhr


Halle:
›Was ich immer schon sagen wollte‹

Uli Fischer

Suchen, spüren, finden, berühren, sehen, ertasten, applizieren, komponieren, zusammenfügen, vernähen, auftrennen. Uli Fischer tritt in seiner vielschichtigen künstlerischen Praxis in Kommunikation mit vorgefundenem Material, das durchdrungen ist von Zeit und Geschichte. Seine Werke spielen mit unseren Sehgewohnheiten und ästhetischen Erfahrungshorizonten – sie führen uns über die Epochen des Abstrakten Expressionismus und der Arte Povera in die Gegenwart. Allerdings geht er dem Bedürfnis nach Abstraktion nicht malerisch, sondern anhand der im Material vorhandenen Spuren des Gebrauchs und des Taktilen nach: Seine Bild-Objekte holen vor allem das bildnerische Wesen von textilem Material auf die Leinwand.

Auf Umwegen ist Fischer 2008 zu dieser künstlerischen Praxis gelangt, die auch konsequentes Resultat seiner Lebenspraxis ist: Uli Fischer kommt vom Taktilen, er lernte Strickmaschineneinrichter, studierte dann in den 1970er Jahren Kunst, erst an der FHS-Gestaltung Textildesign in Hannover, dann an der HBK in Braunschweig.
Anfang der 1980er-Jahren lebte er in den USA, war Student an der UCLA, Los Angeles, und arbeitete als Kolorist. Mitte der 1980er zieht er nach Berlin und verfolgt weiter seine Studien der Farbfeldmalerei, der Schichtung von Farbe zu Körpern.
Es ist die Suche nach der Reduktion und dem Wesentlichen, die er mit den Mitteln der Malerei durchdekliniert, parallel beschäftigt er sich mit Siebdruck auf Textilien. Er arbeitet am Theater und für den Film, als Szenenbildner und Ausstatter. Von 1986 bis 1991 betreibt er den Ausstellungsort ›Laden für Nichts‹ in Berlin-Kreuzberg. Anfang der 1990er beginnt er nach Asien zu reisen, zuerst nach Thailand, Indonesien und Burma. Dort entdeckt er den vereinnahmenden Charakter gebrauchter, traditioneller Textilien, die kultischen Zwecken dienen – aufgeladen mit heilender Wirkung, u. a. als Kraftträger oder Grabbeigabe. Er begann zu sammeln und gründete in Berlin die Galerie ›Kunst und Primitives‹ mit einem Ausstellungsprogramm, das zeitgenössische Kunst mit ethnografischen Gebrauchs- und Kultgegenständen in Dialog setzte. Sein frühes Interesse an Farbschichten konzentriert sich hier vor allem auf das ästhetische und affizierende Potenzial von Patina auf Objekten, Bildern und Geweben – der letzten Schicht, der Oberfläche, durch die Zeit und Gebrauch körperlich erfahrbar werden. Als ihm ein Fragment eines mit Indigo gefärbten Futons von 1920 in die Hände fällt, beginnt er nach einem Weg zu suchen, dem Wesen dieses ›Lappens‹ zur Geltung zu verhelfen, ohne es auf die Funktion eines Bildes oder Kunsthandwerkobjektes zu reduzieren. Er erstellt Trägermaterialien, Rahmen, die sich der Form des Stück Gewebes anschmiegen, vernäht und komponiert und verlässt die klassische Malerei. Fischer fügt die verschiedensten Ansätze seiner Beschäftigung zusammen und findet zu seiner künstlerischen Praxis – zu dem, was er ›immer schon sagen wollte‹. Es ist ein Weg der verschobenen Gesten und konsequenterweise verlässt Uli Fischer schließlich den Arbeitgeber Filmindustrie und konzentriert sich seitdem auf eine Verbindung seiner Kunst- und Lebenspraxis in der künstlerischen, aber auch handeltreibenden Beschäftigung mit traditionellen Geweben. Die Hersteller der Stoffe und ihre Vergangenheiten sind in das Material eingeschrieben – Fischer spürt dessen Ausdrucksmöglichkeiten nach und bringt sie mit einfachen Gesten zur Aufführung: Komplexe Bildwelten entstehen aus Reduktion und dem der textilen Physis innewohnenden Potenzial. In einem materiellen Denken bildet sich so nach und nach das Werk heraus, das aus dem Spannungsverhältnis von vorgefundenem Material und Begreifen-Wollen des Künstlers entspringt.
Die Ausstellung ›Was ich immer schon sagen wollte‹ in der Reihe ›Einzelausstellung: nicht alleine‹ im Heidelberger Kunstverein ist Fischers erste institutionelle Einzelausstellung. Sie führt seinen Werkkomplex der letzten fünf Jahre zusammen und präsentiert diesen gemeinsam mit einem Audio-Guide. Es laufen keine Erklärungen, sondern Musik, die der Künstler beim Arbeiten im Atelier hört. Es ist eine Playlist, die mit Stücken von Karlheinz Stockhausen oder John Cage ebenso Referenzen an die Minimalisten spürbar werden lässt wie die eindrückliche Bildwelt von Uli Fischers Tableaus.

 

 

Studio/EMPORE:
›Gegen Faulheit‹

Neues und Ungesehenes aus der Sammlung Prinzhorn

Gudrun Bierski, Alexandra Galinova, Bernd Meckes, Dietrich Orth, Alfred Stief, Ursi

Kunst ermöglicht auch Zugang zu Welten, die uns unbekannt oder fremd sind. Den Künstlern unter Umständen ebenso wie den Betrachtern – Welten, die sich der direkten Begrifflichkeit entziehen und erst in der Verbildlichung eine Annäherung zulassen.
Das belegen viele der Werke, die der Psychiater und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn (1886 – 1933) zusammengetragen hat. Der historische Bestand der berühmten Sammlung Prinzhorn umfasst ca. 6000 Zeichnungen, Aquarelle, Gemälde, Skulpturen, Textilien und Texte, die Patienten psychiatrischer Anstalten zwischen 1840 und 1945 geschaffen haben. Seit 1980 wächst die Sammlung dieses Museums erneut durch Schenkungen von Kunst Psychiatrie-Erfahrener: Der neuere Bestand umfasst mittlerweile ca. 14.000 Werke.
Die Ausstellung ›Gegen Faulheit‹ zeigt sechs Positionen aus der jüngeren Sammlung des Museums, die größtenteils zum ersten Mal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Auswahl betont die vielfältigen Lebensgeschichten der Künstler und damit verbunden auch die Diversität der künstlerischen Ausdrucksformen, die Malereien, Zeichnungen, Stickbilder oder Objekte umfassen. Die ausgewählte Kunst unterscheidet sich formal kaum von anerkannten Positionen, doch ist der Weg der Künstler zur Kunst häufig ein anderer, der vor allem von psychischer Erkrankung geprägt ist: Die Kunst wird hier zum dringlichen Ausdruck einer oftmals alternativlosen Selbstbefragung und -vergewisserung.
Die Avantgarde des 20. Jahrhunderts hat u. a. das Verhältnis von Kunst und (Alltags-) Leben im Hinblick auf seine gegenseitige Entgrenzung hin befragt. Diese Überschreitung von Ästhetischem und Nicht-Ästhetischem steht auch bei den Künstlern der Sammlung Prinzhorn im Vordergrund. Doch wird hier in der unauflöslichen Verschränkung von Kunst- und Lebensform das dichotome Verhältnis nicht durch eine künstlich herbeigeführte Überschreitung aufgehoben, sondern weil sowohl Leben als auch Kunst der psychiatrisch Behandelten von unbewussten und psychischen Zusammenhängen unentrinnbar durchzogen sind. Das Produktive und Berührende dieser Überschreitungen, die auch auf zeitgenössische Interdependenzen von Kunst und Gesellschaft, Kunst und Kritik, Kunst und Wissenschaft verweisen, wird in der Betrachtung der Arbeiten offenbar.
In den letzten zehn Jahren haben umfassende Ausstellungsprojekte immer wieder den Versuch unternommen, die In- und Exklusionsmechanismen der Kunstgeschichtsschreibung zu hinterfragen. Durch den Kontexttransfer von der Sammlung in den Kunstverein wandern nicht nur die Künstler, sondern auch ihre Werke zwischen den Welten und es wird veranschaulicht, wie sehr die Grenzen der Kunst und ihrer Geltung fließend und verhandelbar sind. Mit dem Transfer reichen sich die beiden Institutionen in ihrer Programmatik die Hände: Wichtiges Ziel der Sammlung Prinzhorn ist es, zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankung beizutragen – Ziel des Kunstvereins, beständig die Grenzen des aktuellen Kunstbegriffs auszuloten und zu erweitern.
›Gegen Faulheit‹ ist ein Zitat aus einer malerischen Bild-Text-Skizze von Dietrich Orth, des wohl bekanntesten Protagonisten der ausgewählten künstlerischen Positionen. Gegen Faulheit und für das Nachdenken: In der Ausstellung werden Fragen zum Verhältnis von Kunst und Leben, Stigma und Geltung, Ästhetischem und NichtÄsthetischem anhand der eindrücklichen Arbeiten angestoßen und zur Diskussion gestellt.
Wann gilt Kunst als sogenannte Outsider Art und wann nicht? Generiert die Ausbildung an der Kunstakademie den Unterschied oder die Anerkennung durch das Betriebssystem Kunst? Liegt es am Kontext, in dem das Werk gezeigt, vermittelt und rezipiert wird? Welche Rolle spielt die Autonomie? Was gilt als ›normal‹ und was als ›krank‹? Und was ist Kunst?

Die Ausstellung ist eine Kooperation mit der Sammlung Prinzhorn. Die Sammlung Prinzhorn ist eine Einrichtung des Universitätsklinikums Heidelberg.

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Uli Fischer: ›Schwarz auf Weiß‹, 2011, Nobori Bata (ca. 1890) gerissen,
handgesponnene Baumwolle, Acryl

 

 


Uli Fischer: ›Hanten‹, 2014,
historische Baumwolle auf Baumwolle auf Acoustic Shape

 

 


Uli Fischer: ›Hommage an M.‹, 2013,
Baumwolle und Seide auf Acoustic Shape

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Alexandra Galinova: ›Dämon‹, um 1985, Öl auf Leinwand,
Courtesy Sammlung Prinzhorn

 

 


Dietrich Orth: ohne Titel, vor 2008, Acryl auf Leinwand,
Courtesy Sammlung Prinzhorn

 

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