AUSSTELLUNGEN

RIMINI PROTOKOLL

Eröffnung am 10. September 2010 um 19 Uhr
Ausstellung vom 11. September bis 21. November 2010

Sie gehen in ein Kaufhaus, um ein Bügelbrett zu kaufen.
Beim Einscannen des Strichcodes wird eine öffentliche
Ansage im ganzen Kaufhaus mit einer Beschreibung Ihres
Einkaufs und der Angabe des entsprechenden Preises
ausgelöst. Alles applaudiert. Unmittelbar danach gehen die Verkäufer und Kunden wieder ihren gewöhnlichen Beschäftigungen nach. Nach einem kurzen Moment der Verwunderung packen Sie das Bügelbrett unter den Arm und gehen nach Hause. Sollte das passieren, hätten Sie vermutlich ein „détournement“ erlebt, einen kurzen Moment, in dem Ihre Wahrnehmung der Welt aus den Fugen geraten wäre.

Die Idee für diesen inszenierten Eingriff in den Alltag ist Teil einer Ansammlung utopischer Ideen des Theaterlabels Rimini Protokoll. Für seine Ausstellung in der Halle und auf der Galerie des Heidelberger Kunstvereins hat sich das Kollektiv die Handschriften von 80 Heidelberger Bürgern „ausgeliehen“. Diese wurden gebeten die von Rimini Protokoll vorformulierten Ideen auf kleine Zettel zu schreiben. Danach haben die drei Akteure des Kollektivs, Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel, die Zettel vergrößert und an die große Wand der Ausstellungshalle gepinnt.

Ein anderes Blatt sieht einen Gerichtssaal vor, in dem die Zuhörer sich nicht für das Urteil interessieren, sondern für die Art der Inszenierung. Weitere Notizen handeln von Vorstellungen, die unter Tischen von Gourmet-Restaurants aufgeführt werden. Am radikalsten ist das Konzept für eine Inszenierung, die aus einer einzelnen Begegnung besteht. Die Zettel werden vor einem goldenen Hintergrund zusammen mit hunderten ausgemusterter Stühle aus den Sitzreihen des Heidelberger Theaters präsentiert. Einige Stühle laden zum Hinsetzen ein, andere stehen an die Wand gelehnt. Ein paar sind zum Schaukeln umgebaut worden, von denen aus man die Blätter genauer betrachten kann.
Indem das Kollektiv das Theaterinterieur in die fremde
Umgebung des Ausstellungsraums transplantiert, eröffnet es neue Blicke auf die Zukunft der bürgerlichen Institution des Theaters.

Das Kollektiv hat in den letzten zehn Jahren aber deutlich
mehr als bloß utopische Ideen produziert. Seine realen
Produktionen werden auf der ganzen Welt gezeigt. In diesen treten selten Schauspieler, sondern meistens nur Laien auf, die ihr Wissen über ein für die Inszenierung relevantes Thema nacherzählen. Das Theater von Rimini Protokoll ist oft mit der Bezeichnung „Experten des Alltags“ paraphrasiert worden, weil in den Stücken z.B. ein Mannheimer Lokalpolitiker in der Produktion „Wallenstein“ anstelle von Schillers Monologen seinen eigenen realen politischen Machtkampf nacherzählt.

Mit der Ausstellung wird das Augenmerk auf die erstaunliche Fülle unterschiedlichster Produktionen von Rimini Protokoll im letzten Jahrzehnt gelenkt. Die Besucher können die Unterschiede zwischen den Antworten von 100 Wienern und 100 Berlinern auf die gleichen Fragen aufspüren oder sich auf einen live zugeschalteten indischen Call-Center-Mitarbeiter einlassen. Im Eingangsbereich der Ausstellung kann
anhand von Schriften und Projektionen das große Theaterspektakel einer Hauptversammlung nacherlebt werden, die 2009 im ICC Berlin unter der strengen Regieleitung der Abteilung Investors Relations der Daimler AG veranstaltet wurde.

Vielleicht hat der enorme Erfolg des postdramatischen Theaters des Kollektivs in der Vergangenheit den Blick mancher Zuschauer (und Kritiker) verdreht. Womöglich ging es Haug, Kaegi und Wetzel vor zehn Jahren nicht nur darum, Menschen auf der Bühne ein Sprachrohr zu verschaffen, sondern auch darum, wie man dieses Sprachrohr formt, um einen Ausschnitt des vielfältigen realen Lebens zu fokussieren.

Ein Protokoll ist in der Informatik ein technischer Begriff, der für ein Set von Verhaltensregeln für eine gegebene Situation steht. Ein Protokoll legt also fest, zu welchem Ergebnis ein bestimmter Prozess führt, ohne dass die Bestandteile des Prozesses im Vorfeld bekannt sind. Wenn man den Namen des Kollektivs, Rimini Protokoll, in diesem Sinne liest, enthält die Ideenansammlung im Heidelberger Kunstverein nicht nur Ideen für lustige oder humoristische Situationen. Vielmehr ergäben die Ideen nach dieser Lesart ein Archiv von Situation, in denen das Prinzip Rimini Protokoll angewandt werden kann, um im potentiellen Teilnehmer ein kleines (oder großes) „détournement“ zu provozieren. Wer einmal an einem solchen protokollierten Moment teilgenommen hat, weiß, dass die Welt danach ein kleines bisschen anders aussieht. Und das für immer.

Die Ausstellung findet in der Halle (EG) und auf der Galerie (OG) statt.

 

TERMINE

Fr. 10.09.2010 | 19 Uhr | Eröffnung "Rimini Protokoll ". Begrüßung: Michael Sieber. Einführung: Johan Holten

Fr. 10.09.2010 | 22 Uhr | Konzert der kanadischen Kunst-
Rock-Band „Women“ im Studio. Veranstaltet von Blitz Lovin' Productions.

So. 26.09.2010 | 15 Uhr | Führung

So. 10.10.2010 | 15 Uhr | Führung

So. 24.10.2010 | 15 Uhr | Führung mit Johan Holten

So. 07.11.2010 | 15 Uhr | Führung

Do. 11.11.2010 | 20 Uhr | „Wahl Kampf Wallenstein“,
ein Film von Rimini Protokoll, 57:12 min. Der Film wird in
der Traumfabrik im Theaterkino, Hauptstraße 42, gezeigt. MIt anschließendem Gespräch mit den Experten des Alltags.

Do. 18.11.2010 | 19 Uhr | „Dogville“, ein Film von Lars von
Trier, Dänemark 2003, 177 min.

So. 21.11.2010 | 15 Uhr | Führung mit Johan Holten

 

 

 

 

 

 

 

 

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