AUSSTELLUNG


Ausstellung vom 27.11.2015 bis 14.02.2016
Eröffnung am Freitag, 27.11. um 19 Uhr


›Es war einmal ein Land‹

Mounira Al Solh, Hera Büyüktaşçıyan, Johanna Diehl, Cevdet Erek, Bengü Karaduman, José F.A. Oliver, Iz Öztat mit Zişan, Wael Shawky, Elisabeth Zwimpfer

kuratiert von Öykü Özsoy und Susanne Weiß


›Es war einmal ein Land‹ richtet seinen Blick geografisch in die Region, die sich mit dem Zusammenbruch des Osmanischen Reichs neuordnete. Die Auswirkungen der historischen Entwicklungen sind nicht auf diese Region begrenzt und zeigen sich in der aktuellen Flüchtlingssituation auch in Europa. Neben der Ausstellung im Kunstverein werden fünf Satelliten-Stationen bespielt, die eine thematische und räumliche Verknüpfung in den öffentlichen Raum vornehmen.
Vor etwa hundert Jahren zerfällt mit dem Ersten Weltkrieg das Osmanische Reich in seine Einzelteile und ein Großteil der Region wird vor allem unter den Kolonialmächten Deutschland, England und Frankreich sowie Russland neu aufgeteilt. In dieser Zeit kommt es 1915 zum Genozid an den Armeniern und mit der Balfour-Deklaration wird 1917 in Palästina der Weg für einen jüdischen Staat geebnet. Als weitere Folge kolonialistischer und nationalistischer Bewegungen im 19. Jahrhundert wird der Vielvölkerstaat Osmanisches Reich 1922 aufgelöst und 1923 die Republik Türkei ausgerufen. Die fatalen Konsequenzen des Ersten Weltkriegs und die Auswirkungen bis in den Mittleren und Nahen Osten sind bis zum heutigen Tag spürbar und lassen die Region nicht zur Ruhe kommen.
Dieser historische Ausgangspunkt ist zur Betrachtung der Gegenwart unabdingbar. Die derzeitigen Migrationsbewegungen aus dem Nahen Osten stehen im direkten Zusammenhang mit der Neuordnung der Region zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Europa erlebt zum ersten Mal in dieser Weise die Konsequenzen des labilen Zustands im Nahen Osten, wo Menschen in großer Zahl schon seit den 1940er Jahren in Flüchtlingslagern leben oder ihre Heimatländer verlassen haben.
In ›Es war einmal ein Land‹ erzählen acht künstlerische Positionen eine a-chronologische, stark fragmentierte, aber wechselseitige Geschichte. Den zeitlich entferntesten Eckpunkt bildet die Rede von Papst Urban II., der 1095 zum Kreuzzug gegen die Muslime aufrief. ›Cabaret Crusades: The Horror Show Files‹ ist der erste Teil der Trilogie des ägyptischen Künstlers Wael Shawky, der filmisch mit Marionetten aus dem 18. Jahrhundert diese wichtige Epoche aus arabischer Perspektive erzählt. Ein Krieg, der zweihundert Jahre andauerte, Menschen von Europa zu Fuß nach Jerusalem gehen ließ und das Verhältnis zwischen dem Islam und dem Christentum bis zum heutigen Tag geprägt hat.
Den Bogen in die Gegenwart der Region schlägt die Arbeit ›I strongly believe in our right to be frivolous‹ der libanesischen Künstlerin Mounirah Al Solh, die ihre eigene Biografie und Position als Künstlerin und damit als privilegiert Handelnde zur Disposition stellt. Al Solh porträtiert seit Kriegsbeginn 2011 syrische Flüchtlinge, die in den Libanon kommen mit schnellen Zeichnungen, in denen Schrift und Zeichenstrich eine Liaison eingehen. Sie verweisen auf die kurzen Momente mit den Menschen, aus deren Leben vor der Flucht die Künstlerin erzählen möchte.
In scherenschnittartigen Bildern spürt Bengü Karaduman in der Videoinstallation ›In Place of Silent Words‹ der Vorgeschichte und den Nachwirkungen des türkischen Militärputsches von 1980 nach. Die Spuren des bereits seit Jahrzehnten andauernden türkisch-griechischen Konflikts auf Zypern hält Johanna Diehl in der fotografischen Serie ›Displace‹ fest, welche leerstehende sakrale Räume im Spannungsverhältnis zweier Religionen untersucht. Die Ausstellung zeichnet mit den eingeladenen Künstlern die Widersprüche und Komplexität der historischen Entwicklungen nach und versammelt unterschiedliche künstlerische Strategien im Umgang mit den offenen Fragen und Interpretationsräumen der Geschichtsschreibung. Die Narrative von ›Es war einmal ein Land‹ werden mit einer weiteren Ausstellung am 26.2.2016 fortgeführt.

Öykü Özsoy arbeitet als freie Kuratorin. Von Juni 2013 bis September 2015 war sie International Fellow am Wilhelm-Hack-Museum im Rahmen des von der Kulturstiftung des Bundes initiierten Programms ›Fellowship Internationales Museum‹. Zuvor war sie Direktorin des ›Full Art Prize‹ (2011 – 2012) und koordinierte u.a. das Programm des ›Garanti Contemporary Art Centers‹ (2002 – 2010). Ihr kuratorisches Interesse liegt auf forschungsbasierten künstlerischen Praktiken, insbesondere Strategien der Partizipation, Zusammenarbeit und Wissensproduktion.

 

Satelliten-Stationen

Eröffnung am 28.11.
15 Uhr / Rundgang
Beginnend im Foyer der Stadtbücherei mit den Kuratorinnen Susanne Weiß und Öykü Özsoy sowie den Künstlern Bengü Karaduman, José F. A. Oliver und Elisabeth Zwimpfer
19 Uhr / Eröffnungsparty

Im Anschluss findet im Pannonica eine Eröffnungsparty statt.

Mit den Satelliten-Stationen erweitert sich die Ausstellung ›Es war einmal ein Land‹ in den öffentlichen Raum:
In der Stadtbücherei Heidelberg teilt José F. A. Oliver seine Beobachtungen aus der Metropole Istanbul auf Wandbannern und in einer Lesung mit dem Publikum. Zwei Fenster des Instituts für Klassische Archäologie dienen als Rahmen für eine Installation Elisabeth Zwimpfers mit Motiven aus ihrem Animationsfilm ›Ships Passing in the Night‹. Hera Büyüktaşçıyan präsentiert in zwei Vitrinen im Foyer der Universitätsbibliothek Heidelberg Arbeiten aus ihrem zeichnerischen Werk. Sowohl im Schaufenster der Edition Staeck als auch im Pannonica zeigt Bengü Karaduman Ausschnitte aus ihrer Video-Installation ›In Place of Silent Words‹.

Stadtbücherei Heidelberg / Poststraße 15
Öffnungszeiten: Di – Fr 10 – 20 Uhr, Sa 10 – 16 Uhr

Institut für Klassische Archäologie / Marstallhof 4

Universitätsbibliothek Heidelberg / Plöck 107 – 109
Öffnungszeiten: Mo – Fr 8.30 – 1 Uhr, Sa 9 – 1 Uhr

Schaufenster Edition Staeck / Ingrimstraße 3

Pannonica / Ingrimstraße 22
Öffnungszeiten: Mo – Sa 12 – 19 Uhr
Mitglieder erhalten bei Vorlage des Mitgliedsausweises bei Besuch der Ausstellung einmalig einen Espresso umsonst.

 

 

›Transgender in Hoyerswerda.
Wie es wirklich war.‹

Klozin, Peter Woelck

Im Mittelpunkt der Ausstellung ›Transgender in Hoyerswerda. Wie es wirklich war.‹ steht die persönliche Geschichte der Berliner Künstler Wilhelm Klotzek und David Polzin. Vereint unter dem Künstlernamen Klozin rufen sie mittels neun Miniaturszenarien ausgewählte Ereignisse der deutschdeutschen Geschichte auf. Dem gegenübergestellt werden die Porträtarbeiten des Berliner Fotografen Peter Woelck (1948 – 2010) – Wilhelm Klotzeks Vater.
In Schaukästen finden sich zu erzählerischen Standbildern zusammengesetzte Zigarettenstummel, Plastikkabel und leere Zigarettenschachteln. Sie lassen Situationen der jüngeren Geschichte aufleben, die sich mit dem Fall der Mauer in unser kollektives Gedächtnis eingeschrieben haben. Die nachgebauten Kulissen, hergestellt aus alltäglichen Raucherutensilien, fügen sich chronologisch zu einem Bild zusammen, das uns als Betrachter die politischen und ökonomischen Zusammenhänge von 1989 (›Harald Jäger am Telefon‹) bis heute (›Lutz Bachmann im Adolf Hitler Rollenspiel‹) vor Augen führt.
Mit ihrer verstörend humoristischen und ironischen Wirkung beziehen sich Klozin in ihren zwischen Readymade und Assemblage angesiedelten Kleinplastiken auf die Arte Povera. Ihre Serie ›Transgender in Hoyerswerda. Wie es wirklich war.‹ ist ein bissiger Kommentar zum 25-jährigen Jubiläum der Wiedervereinigung. ›Sabine K. versäuft ihr Begrüßungsgeld allein in einer Westberliner Kneipe‹. In der lakonischen Beschreibung einer der Kleinplastiken paart sich alltägliche Beobachtung mit tragischer Offenheit. Gleichzeitig hätte dies auch ein Motiv des Berliner Fotografen Peter Woelck sein können, der ein empathischer Chronist seiner Zeit war. Wilhelm Klotzek macht seit 2010 das fotografische Werk seines Vaters der Öffentlichkeit zugänglich:
Peter Woelck zog nach seinem Studium an der HGB Leipzig in den 70er-Jahren zurück nach Ost-Berlin und wurde dort später Teil des gesellschaftlichen Umbruchs.
Woelck balanciert entlang seiner eigenen Identität, er zeigt sich und seine Freunde, als Künstler, aber auch als Mann, der seine intimen Interessen mit der Fotografie verhandelt und nicht zuletzt als jemand, der versucht hat, nach der Wende nicht den Anschluss zu verlieren – Peter Woelck war in der DDR als Fotograf u. a. für Verlage und Betriebe tätig. Neben den Auftragsarbeiten entstanden auch – gerade in der Zeit nach dem Fall der Mauer – zahlreiche freie Arbeiten aus den Bereichen der Sozialreportage und der Architekturfotografie.
Wilhelm Klotzek interessiert die tragische Offenheit, die ihm immer wieder im Werk seines Vaters entgegentritt. Der hinterließ ein Werk, das ebenso viel über ihn als auch über den nicht mehr existierenden Staat – die Deutsche Demokratische Republik – erzählt. Durch die erstmalige Zusammenstellung der fotografischen und skulpturalen Arbeiten aus zwei Generationen erhalten Klozins Stillleben ein Gesicht. Die Porträtierten blicken verstummt auf die Erzählungen zur jüngsten Zeitgeschichte.

Klozin, bestehend aus David Polzin (* 1982 in Hennigsdorf) und Wilhelm Klotzek (* 1980 in Ost-Berlin), studierten (u. a.) an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Erstmals arbeiteten sie 2008 zusammen und seitdem treffen sie in größeren Abständen immer wieder aufeinander, um verschiedene Projekte zu realisieren. Neben Ausstellungsarchitekturen und Skulpturen entwickeln sie auch Radiosendungen und Performances. Zurzeit arbeiten sie an ihrem ersten filmischen Projekt in Los Angeles.

Peter Woelck (* 1948 in Berlin, † 2010 in Berlin) studierte von 1972 – 77 Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und lebte danach in Ost-Berlin. Neben Auftragsarbeiten in der DDR für Kulturämter, Zeitschriften, das Fernsehen und verschiedene Großbetriebe war er auch als freier künstlerischer Fotograf tätig. Bekannt sind hier vor allem seine Porträts und Stadtlandschaften von u. a. Leipzig und Berlin. In seiner Praxis überschritt er klare Genre-Zugehörigkeiten und schuf so ein beeindruckendes und vielgestaltiges Bildarchiv.

 

Empore:
›Durex Duplo Resterampe‹

Wilhelm Klotzek

Durex Duplo Resterampe, Dosen Duschgel Rivercola, Deinhard Dickmanns Ravioli. Für Wilhelm Klotzek alles Synonyme für das, was nach 1989 Einzug in sein Leben hielt und Dinge, die vor 1989 nicht in der DDR existierten. Auf der Empore zeigt der Heidelberger Kunstverein eine Einzelpräsentation von Wilhelm Klotzek, welche die Fäden aus der Studio-Ausstellung weiterführt. Das Augenmerk liegt dabei auf dem Zusammenspiel von Text und Form, das Klotzek dazu nutzt, um Motive der eigenen historisch bedingten Identität auszuformulieren. Dabei bedient er sich verschiedener Medien wie Performance, Skulptur, Installation, Prosagedichten und Künstlerbücher und begreift die Sprache als bildhauerisches Material.

Der 1980 in Ost-Berlin geborene Künstler hat an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee und der Universität der Künste in Berlin Bildhauerei studiert. Seine Arbeiten wurden national und international ausgestellt. Letzte Einzelausstellungen waren u. a. ›Konkurrenzkartoffel oder Kredibilität im Lackmustest‹ (C. Brown ONEWORK Galerie, Wien), ›Zigaretten und andere nicht alkoholische Getränke‹ (Nassauischer Kunstverein Wiesbaden), Kaffee, Krebs und Kuchen‹ (Neuer Saarbrücker Kunstverein). 2012 erhielt Wilhelm Klotzek den Mart-Stam Förderpreis, 2013 wurde er mit dem ›Columbus Förderpreis für aktuelle Kunst in Kooperation mit der ADKV‹ ausgezeichnet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Ausstellungsansicht: Videoinstallation Elisabeth Zimpfer (›Harald Jäger am Telefon‹

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Heidelberger Kunstverein
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